...liest gerade "Ritchie Girl" von Andreas Pflüger

Vor Jahren musste sie ihre Heimat verlassen.

Nun kommt sie wieder und sucht nach dem, den sie liebte.

Und nach denen, die bereuen.

Doch alles, was sie findet, ist Übermut und Überlebenskampf.

 

Zum Ende des 2. Weltkriegs landet Paula Bloom in Europa. Sie wird als Dolmetscherin für eine sich verschanzende SD-Einheit in Italien benötigt. Nach dem Krieg hört sie Gespräche von SS-Gefangenen ab und sucht nach Menschen, die bereuen, doch sie findet nur falschen Stolz und Elend.

 

Dann erhält sie einen Auftrag. Agent Sieben, der die Deutschen mit wichtigen Informationen zur UdSSR versorgt hatte, scheint gefangen worden zu sein. Sie soll herausfinden, ob dieser Mann tatsächlich der berühmte Spion ist und trifft ihn zu Gesprächen. Sie erfährt vieles über Deutschland, über die Vergangenheit, über die USA und ihre Verwicklungen mit dem Dritten Reich. Schließlich erfährt sie auch vieles über den neuen Kampf gegen den Kommunismus. Doch erfährt sie auch mehr über den Mann, den sie liebte?

 

„Ritchie Girl“ ist ein Thriller, dem man die gedankliche Verfilmung anmerkt, teilen viele Schnitte und Dialoge ihn doch wie einen Film und tragen die Handlung voran.

 

Der Roman kreist um die Frage, inwieweit Schuld und Scham kollektiv oder singulär zu betrachten sind. Er bietet gute Unterhaltung, die durchaus etwas Spannung verspricht, meines Erachtens aber nicht ganz eingehalten wird. Beinahe alle Größen der 30er und 40er geben sich hier die Klinke in die Hand. Dialoge sind oft gestellt und dienen nur dazu, neue Personen anhand eines Steckbriefs einzuführen. Hinzu kommen manche in den Kitsch abrutschende Formulierungen, z.B. wenn die Sonne mit dem Wind schmuste.

 

Wie die Amerikaner mit Nazis paktierten, wie ehemalige SS-Offiziere rekrutiert und für den Geheimdienst im Kampf gegen den Kommunismus angeworben wurden, wie das Gehlen Projekt aufgebaut wurde, dem später der BND entstammte, war nichts Neues für mich. „Das kalte Blut“ von Chris Kraus erzählt dieses Kapitel der deutschen Vergangenheit viel plastischer und spannender.

 

Wer sich mit der Materie nicht auskennt, dem wird allerdings flotte Unterhaltung geboten.

 

 

 

Andreas Pflüger: Ritchie Girl

Roman

Hardcover, 464 Seiten

Suhrkamp Verlag, Berlin 2021