...liest gerade „Vierunddreißigster September“ von Angelika Klüssendorf

Als bei ihm ein Hirntumor entdeckt wird, ändert sich sein Leben.

Statt der immerwährenden Wut legt sich Sanftmut über sein Gemüt.

Seine Frau kann es nicht verstehen – und erschlägt ihn mit einem Beil.

 

Hilde ist verschwunden. Niemand im Dorf weiß, wo sie ist. Die Polizei fahndet nach der alten Mörderin, die auf solch bestialische Weise ihren Mann erschlug. Zuletzt wurde sie auf der Silvesterfeier gesehen, auf der sie unbeschwert getanzt hatte. Doch als ein Nachbarskind tags darauf die Leiche ihres Mannes findet, ist sie fort und wird nie wieder gesehen.

 

Walter erwacht als Geist. Sein Schädel ist gespalten, seine Sanftmut geblieben. Im Totenreich wird ihm auferlegt, seine Chronik zu erzählen. Aber er kann sich nicht erinnern. Nach und nach sieht er durch die Erzählungen anderer Verstorbener ein, dass seine Frau ein Leben führte, das er nicht kennen wollte, dass sie Gedichte schrieb und Sprachen lernte, wofür er sie mit Desinteresse strafte. Warum war er früher nur immer so voller Wut? Und warum bloß erschlug ihn seine Frau?

 

Angelika Klüssendorf hat einen Roman über ein Dorf geschrieben, mit dessen Bewohnern es nach der Wende stetig bergab ging. Trostlosigkeit hängt über der Stadt wie ein Leichentuch. Nur wenige schaffen es, der Einöde und der Sinnlosigkeit zu entkommen. Die meisten bleiben und stumpfen ab. Doch der Roman ist nicht nur ein Dorfroman, sondern reflektiert wie jeder gute Roman auch das Große im Kleinen. Durch den Tod Walters und seine Unterhaltungen werden die existentiellen Fragen aufgeworfen: Was ist das Leben? Was macht einen zu demjenigen, der man ist? Und wofür lohnt es sich eigentlich zu leben?

 

Mit Witz und Scharfsinn erzählt Klüssendorf von den vielen Einwohnern, die ihr kleines Leben führen, erzählt von gescheiterten Ehen, die dennoch nicht getrennt werden, erzählt von Tyrannen, die Familien knechten, und Selbstermächtigungen, die verschrien werden. Durch unterschiedliche Erzählstimmen wird das Leben aus einer Vielzahl an Perspektiven beleuchtet. Ein guter, ein unterhaltsamer Roman, an dessen Ende mir aber etwas zu wenig Substanz übrigblieb.

 

 

 

Angelika Klüssendorf: Vierunddreißigster September

Roman

Hardcover, 224 Seiten

Piper Verlag, München 2021