Jamaica, Reggae, Bob Marley - was will man mehr? Vielleicht noch ein literarisches Meisterwerk? Kein Problem, denn genau das ist "Eine kurze Geschichte von
sieben Morden" von Marlon James. Alles dreht sich in diesem opulenten Werk um das Attentat auf Bob Marley im Jahr 1976. Mit ganz eigener Note erzählt Marlon James die Umstände der Zeit,
erzählt von Jamaica, das in Gewalt und Chaos versinkt und zwischen zwei Parteien aufgerieben wird. Er erzählt vom Ghetto, von Gewalt und Aussichtslosigkeit, von Bandenkkriegen und internationalen
Verflechtungen im Kalten Krieg, er erzählt vom Reggae und von dem berühmtesten Musiker der Insel, der noch heute Legende ist - Robert Nesta Marley!
Jamaica 1976: Die Insel versinkt in Gewalt, Armut und Chaos. Der Großteil der Menschen lebt in Slums und Ghettos. Polizeigewalt ist an der Tagesordnung. Zwei Parteien streiten um die Macht, die PNP und die JLP, denen jeweils konkurrierende Gangs zuarbeiten, die sich in aller Öffentlichkeit bekriegen. Die kommende Wahl entscheidet grundlegend über die Zukunft Jamaicas, entscheidet darüber, ob sich die Insel womöglich auf den Weg in den Kommunimus begibt. Und so operiert auch die CIA in Jamaica, denn natürlich wollen die USA kein zweites Kuba vor ihrer Haustür. Immer mehr Waffen werden in die Ghettos geliefert und niemand weiß, woher sie stammen. Gewiss ist nur, dass sie benutzt werden sollen.
Mitten in diesem Chaos soll ein Friedenskonzert stattfinden und Bob Marley soll der Hauptakteur sein. Doch zwei Tage vor dem Konzert stürmen sieben Menschen sein Haus, schießen wild um sich und verletzen u.a. seine Frau Rita schwer. Bob Marley selbst wird nur leicht verletzt und wie durch ein Wunder überleben alle das Attentat. Aus Trotz findet das Konzert zwei Tage später dennoch statt und Bob Marley tritt auf.
Doch wer waren die Attentäter? - Marlon James gibt eine ganz eigene Antwort auf die bis heute ungeklärte Frage. Die verschachtelte Geschichte um die tatsächliche Begebenheit erstreckt sich über 15 Jahre, verfolgt unterschiedliche Gangs und Bandenmitglieder, Rudeboys und Gunmen, CIA-Agenten und Politiker, Drogenkartelle und mafiöse Organisationen, Journalisten sowie Normalbürger. Dabei verfolgt er die sieben Auftragskiller und webt um ihr Schicksal eine Geschichte, die bis in die USA der 90er Jahre führt.
VOM ATTENTAT IN DIE WELT
Das Attentat auf Bob Marley gab es wirklich. Die Hintergünde sind bis heute ungeklärt. Spekulationen befeuern die Phantasie seit jeher. So reichen Verschwörungstheorien von einfachen Gangmitgliedern, die gegen das Friedenskonzert agitierten, hin zur JLP, die gegen den Rasta und PNP-Sympahtisanten Bob Marley etwas unternehmen wollte, bis zur CIA, die in Bob Marley einen vertrackten Kommunisten gesehen zu haben scheinen. Aufzuklären ist das Attentat wohl nicht mehr, doch Fakt ist, dass Jamaica zu jener Zeit in politischen und gesellschaftlichen Wirren versank, dass sich zwei verfeindete Parteien gegenüberstanden, die auf die Hilfe von verfeindeten Gangs setzten, um ihre Macht zu sichern und auszubauen. Fakt ist auch, dass die CIA in Jamaica operierte, um mit unlauteren Mitteln ein zweites Kuba zu verhindern.
Zwei Jahre später tritt Bob Marley erneut auf einem Friedenskonzert auf, das unter dem Namen One Love Peace Concert in die Geschichte einging. Geplant wurde es von zwei Bossen verfeindeter Gangs, die zur gleichen Zeit im Gefängnis einsaßen. Das Konzert wurde nicht nur als das "Third World Woodstock" angesehen, sondern Bob Marley bat während seines Songs Jammin die Repräsentanten beider feindlich gesinnten Parteien, den jamaikanischen Premierminister Michael Manley (PNP) und den Oppositionsführer Edward Seaga (JLP), auf die Bühne und veranlasste, dass sie sich die Hand gaben. Durch diese symbolträchtige Geste wurden die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Jamaica für kurze Zeit aufgehoben. Schon kurz darauf aber verfiel das Land wieder in Chaos und Gewalt, so dass sogar die beiden Gansterbosse getötet wurden, die die Idee zum Konzert gehabt hatten.
Marlon James spinnt die Umstände und die Geschichte um diese Ereignisse nun weiter, setzt an historische Fakten eine fiktive Erzählung. Nach dem Sieg der JLP 1980 verlassen viele Jamaicaner das Land und flüchten in die USA. Dort formieren sie sich neu, gründen neue Gangs, die in den florierenden Drogenhandel einsteigen. Stets das kubanische und kolumbiansche Drogenkartell im Nacken weiten sie ihr Einflussgebiet über Miami und New York bis nach London aus. Und irgendwie hat die CIA stets ihre Hände mit im Spiel. Dabei ist der Blick der Geschichte stets auf die sieben Attentäter gerichtet. Denn ihr Schicksal ist unwiderruflich mit jenem Bob Marleys verbunden. Dieser stirbt zwar bereits 1981, doch sein Mythos lebt weiter.
POLYPERSPEKTIVISCH
Das Besondere an diesem Roman ist jedoch nicht nur sein Thema, sondern vor allem seine Struktur. Ebendiese macht es erst zu einem literarischen Meisterwerk. So fällt zunächst auf, dass es keine einheitliche Erzählstimme gibt, die den Leser an die Hand packt und ihn durch das Geschehen führt. Vielmehr wird jedes Kapitel aus der Sicht einer Person erzählt, die direkt oder indirekt an dem Geschehen beteiligt ist. Schon die dem Roman vorangestellte Liste der dramatis personae besteht aus über 70 Personen. Nicht alle kommen zu Wort, doch ein großer Teil der Charaktere wird sprechen - und sie sprechen alle auf ihre eigene Art und Weise. Der CIA-Agent pflegt also einen anderen Sprachstil als der Gangster, dessen Slang sich wiederum eklatant von dem des Politikers unterscheidet.
Allen gemein ist jedoch, dass sie unmittelbar erzählen, was sie machen, was sie sehen, was sie denken. Denn jegliche Kapitel bestehen aus inneren Monologen, manchmal gar aus Bewusstseinströmen, hin und wieder nur aus Dialogen. So prasseln auf den Leser eine Vielzahl an Stimmen unterschiedlichster Coleur ein. Jede einzelne ist nur ein Teil des Ganzen und erst zusammen ergeben sie das Puzzle der verschachtelten Geschichte. Der Leser wird also gefordert, die Stimmen, Sichtweisen und Meinungen selbst zusammenzulegen und zu kombinieren, um dadurch die komplexe Geschichte zusammenzusetzen.
FAZIT
Dieser Roman ist ein Meisterwerk! Mit dieser Erzählung setzt Marlon James seiner Heimat ein Denkmal. Nicht umsonst gewann er den American Book Award, als auch auch den Man Booker Award. Die Geschichte ist unglaublich fesselnd, auch wenn man sich durch seinen Concrete Jungle aus Perspektiven und Verstrickungen schlagen muss. Die Zustände Jamaicas schockieren, die Verflechtungen der Politik ebenso. Doch die Musikalität, die vielen Anspielungen auf Lieder des Reggae und anderer Musikrichtungen sowie die Geschichte um Bob Marley begeistern. Wie sich die Schlinge um seinen Hals zuschnürt, wie der ganze Roman das Attentat und das Friedenskonzert umkreist, welch Schicksal die Attentäter nehmen, all das ist fabelhaft erzählt. Die Geschichte ist unglaublich verschachtelt, vielschichtig und komplex, und dennoch lohnt sich jede einzelne Seite!
Marlon James: Eine kurze Geschichte von sieben Morden
Roman, aus dem Englischen übersetzt von Guntrud Argo, Robert Brack, Michael Kellner, Stephan Kleiner und Kristian Lutze
Gebunden, 864 Seiten
München: Wilhelm Heyne Verlag 2017
Mehr Informationen und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlags
Bildnachweis: Bob Marley joins the hands of political rivals, Michael Manley and Edward Seaga. Written by Staff Writer// Quelle: Jamaicans.com