...liest gerade "Sommerfrauen, Winterfrauen" von Chris Kraus

Es ist 1996, das Ende des Jahrtausends. Jonas, Student bei dem berühmten Regisseur Lila von Dornbusch, soll einen Film über Sex drehen, ausgerechnet in New York, diesem Sündenpfuhl, diesem Moloch, das einen verschlingt. An der Lower Eastside, schlimmer als alle Vortortghettos Berlins zusammen, findet er bei dem Messi und Professor Jeremiah Fulton Unterschlupf. Für seine Recherche und Dreharbeiten wird ihm vom Goethe Institut die bezaubernde Nele zur Seite gestellt. Doch anstatt einen Film über Sex zu drehen, kommt Jonas der Geschichte seiner eigenen Familie auf die Spur. Und die birgt dunkle Geheimnisse.

 

Man merkt, dass in Chris Kraus ein Regisseur steckt, denn der Roman kommt selbst wie ein Film daher. Die skurilen Charaktere, denen Jonas in New York begegnet, suchen an Lebendigkeit und Originalität ihresgleichen und sind vielleicht am ehesten mit denen T.C. Boyles zu vergleichen. Dazu gibt es filmische Zitate und Anspielungen zuhauf.

 

Mit "Sommerfrauen, Winterfrauen" ist Kraus ein unterhaltsamer Roman über die Liebe geglückt, über das ausgehende letzte Jahrtausend, über Schuld und Moral. Es ist ein witziger und scharfsinniger Roman mit einem unsäglichen Kern, um den alles kreist. Denn natürlich geht es wie in seinem letzten Roman auch über die Nazizeit und die Frage nach Verantwortung und Vererbung. Und auch wenn dieser neue Roman überzeugen kann, so steht er doch im Schatten seines großen Bruders, den ich im letzten Jahr als Roman des Jahres deklarierte: "Das kalte Blut".

 

 

Chris Kraus: Sommerfrauen Winterfrauen

Roman

Gebunden, 416 Seiten

Zürich: Diogenes 2018

 

Mehr Informationen und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlags