Von der Geschichte zur Sage.
Und vom Laiendarsteller zum Tod.
Jeder kennt die Sage der Nibelungen und keiner kennt sie richtig. Die zunächst namenlose Ich-Erzählerin wohnt der Aufführung der Nibelungen in Worms bei. Sie beschreibt und kommentiert Schauspieler und Handlung, bis sie selbst ins Drama gezogen wird und um sie herum die Ebenen verwischen. Plötzlich fährt sie mit nach Isenstein, wirbt um Brunhild und muss später in Etzels Palast dem großen Morden zuschauen. Doch sie greift nie ein, sondern bleibt immer nur Beobachterin. Wie wir im Abspann erfahren, ist diese Zeugin Felicitas Hoppe. Die Autorin hat sich also selbst in den Stoff eingewebt.
Zum Glück gibt es zwei große Pausen zwischen den Akten. In diesen führt sie Interviews mit den Schauspielern, fragt sie zu ihren Rollen, zu ihrem Kunstverständnis und zu Interpretationen.
Wie der Rhein und die Donau fließt der Roman der Georg-Büchner-Preisträgerin über mehrere Ebenen und verzweigt sich in mehrere Arme. In dem so oft adaptierten und stets als Nationalepos stilisierten Stoff fließen die Ströme ineinander, sodass man sich als Leser zu Beginn eines Satzes noch in Worms befinden kann, am Ende desselben jedoch in der mythischen Zeit der Nibelungen.
Es ist eine höchst anspruchsvolle Verzahnung mehrerer Ebenen, denn neben der Ich-Erzählerin, dem Theaterstück sowie dem Mythos spielt auch der Film von Fritz Lang aus dem Jahr 1924 eine Rolle. Sprach Brecht vom epischen Theater, in dem die Grenzen zum Publikum fielen, kann man hier von einem dramatischen Roman sprechen, in dem durch Verfremdungseffekte keine Identifikation aufkommen mag.
Die eigentümliche Konstruktion zeugt zwar von Experimentierfreude, die ich in Romanen meist sehr schätze, mutet aber an vielen Stellen auch schwerfällig an. Eine Lesefluss kommt nicht wirklich zustande, die zahllosen Unterbrechungen und Spiegelungen wirken meist aufgesetzt. Zudem erschließt sich mir nicht der Mehrwert, den man aus der Bearbeitung dieses jahrhundertalten Stoffes ziehen soll.
So bleibt eine interessante Konstruktion, die aber mehr irritiert als unterhält.
„Die Nibelungen. Ein Stummfilm“ stand im letzten Jahr auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.
Felicitas Hoppe: Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm
Roman
Hardcover, 256 Seiten
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2021