Gestohlene Revolution - "Stadt der Rebellion" von Omar Robert Hamilton

Gebannt schaute die Welt 2011 nach Ägypten, schaute auf den Tahrir Platz, wo sich tausende Demonstranten gegen das autokratische Regime erhoben, wo tausende Menschen gegen den seit Jahrzehnten amtierenden Präsidenten Husni Mubarak demonstrierten, rund um die Uhr, Tag und Nacht. Gebannt verfolgte die Welt die Ereignisse, die zum Umsturz einer ganzen Region beitrugen und deren Summe heute als Arabischer Frühling gilt. Doch was ist davon geblieben? Omar Robert Hamilton verleiht der Revolution eine Stimme. In seinem beeindruckenden Roman erzählt er die Geschichte junger Aktivisten, die am Aufstand teilnehmen, erzählt von der schwirrenden Hoffnung, die in der Luft lag, und  von dem brutalen Vorgehen der Schergen Mubaraks. Er erzählt, wie das autokratische System weggefegt wurde, erzählt von der chaotischen Kreativität des Neuanfangs, von den konkurrierenden Ideen um die Neuordnung - und er erzählt, was danach passierte.

Sie sind jung. Sie sind rebellisch. Sie dürsten nach Leben und nach Freiheit. Khalil, Hafez, Rania, Rosa und Mariam sind Freunde und gründen Ende 2011 das Chaos Collective, eine Plattform, die sich auf die Fahnen schreibt, die Verbrechen des Militärs zu dokumentieren. Neun Monate nach dem Sturz Mubaraks herrscht eine Übergangsregierung der Armee, die ebenso brutal operiert wie das gehasste Regime zuvor. Die jungen Aktivisten sammeln Beweise, interviewen Zeugen und laden das Material auf ihrer Homepage hoch. Über Soziale Medien, durch Videos und Podcasts legen sie die Verbrechen des Militärs offen. Die ganze Welt nimmt Anteil an ihrem Schicksal, liked, kommentiert und retweetet die Revolution. Die Welt scheint zusammenzuwachsen.

 

Hoffnung liegt in der Luft. Hoffnung auf eine demokratische Verfassung, Hoffnung auf ein Ende des Ausnahmezustandes und der staatlichen Willkür. Hoffnung auf Freiheit! Die Euphorie der Aufbruchstimmung setzt Kräfte frei, ungeahnte Kräfte, die sich in kreativen neuen Ideen ergehen.

 

Doch die Hoffnungen werden erdolcht. Im Schatten der Aufstände wächst eine neue Bedrohung heran. Die Muslimbrüder können auf eine jahrezehntelange gefestigte Struktur zurückblicken und gewinnen die ersten demokratischen Wahlen Ägyptens. Sie sehen ihre Zeit gekommen und wollen gegen alle Widerstände einen Gottesstaat errichten. Doch sie scheinen nur Marionetten, Marionetten einer noch weitaus bedrohlicheren Macht.

 

 

DIE REVOLUTION FRISST IHRE KINDER UND  KINDESKINDER

 

Mit viel Hoffnung startete der Arabische Frühling. Mit unsäglichem Leid fand er sein Ende. In Ägypten scheint sich die Armee anfangs mit den Muslimbrüdern zu verbünden. Sie kapern die Revolution und der erste frei gewählte Präsident Ägyptens wird Mohammed Mursi. Es ist der erste Verrat an der Revolution, der erste Rückschlag für die tausenden Demonstranten, denn Mursi errichtet eine neue, islamische Diktatur, in der Minderheiten verfolgt werden und unverschleierte Frauen als Freiwild gelten. Er weitet seine Machtbefugnisse aus, Stück für Stück, bis die Armee einschreitet und ein Blutbad unter den Muslimbrüdern anrichtet.

 

Nun putscht sich der ehemalige General al-Sisi an die Macht. Sisi zwingt dem Volk ein brutales Regime auf, brutaler als jenes Mursis, brutaler als Mubaraks. Unterdrückung, Verfolgung, willkürliche Verhaftungen, Folter und Mord sind nun Staatsräson und werden als Terrorismusbekämpfung gebilligt. Die Mehrheit der Menschen lässt sich einschüchtern, die Proteste verebben. Auch die Followerzahlen des Chaos Collective brechen ein, denn die Welt schenkt den Ereignissen in Ägypten keine Beachtung mehr. Das Land und seine Einwohner verschwinden aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit - ein Freifahrtsschein für al-Sisi.

 

 Am 1. Februar 2011 organisieren Regierungsgegner den "Marsch der Millionen". Allein in der Hauptstadt Kairo sollen bis zu zwei Millionen Menschen demonstrieren. © Amr Abdallah Dalsh/Reuters
Am 1. Februar 2011 organisieren Regierungsgegner den "Marsch der Millionen". Allein in der Hauptstadt Kairo sollen bis zu zwei Millionen Menschen demonstrieren. © Amr Abdallah Dalsh/Reuters

In dem ganzen Chaos und den Umwälzungen der Gesellschaft versuchen die Freunde kühlen Kopf zu bewahren. Immer neue Strategien überlegen sie sich im Kampf gegen die Diktatur, immer wieder ziehen sie auf den Tahrir Platz. Doch die junge Gruppe der Aktivisten zerbricht. Manch einen freut das harte Durchgreifen des Militärs. Andere protestieren weiterhin gegen Willkür, Folter und Unterdrückung.

 

Nach jahrelangem Kampf auf der Straße sind die Menschen ausgeblutet, kraftlos, leer. Freundschaften zerreißen und selbst die Liebe findet keinen Platz mehr in den engen Grenzen der Diktatur. Die Revolution wurde verraten und endet in einer faschistischen Diktatur. Unfassbare Einzelschicksale verweben sich zu einem Flickenteppich einer verlorenen Generation, die zweimal um ihre Hoffnung betrogen wurde. Am Ende geistert nur noch eine Frage in den Köpfen der jungen Aktivisten herum: Warum sind sie nicht am 28.1.2011, am Tag des Zorns, als die Revolution einen kurzzeitigen Sieg errungen hatte und die Luft von Hoffnung getränkt war, gestorben? Warum sind sie damals nicht auf dem Tahrir Platz an der Seite ihrer Freunde als Märtyrer getötet worden?

 

 

DIE STIMME DER REVOLUTION

 

In seinen Roman verwebt Hamilton die wichtigsten Momente der Revolution und der Gegenrevolutionen von 2011 bis 2014 mit einer fiktiven Geschichte, die jedoch autobiographischen Zügen folgt. Durch rasch geschnittene Szenen, die stellenweise an einen Film erinnern, als auch durch seine Collagetechnik lässt er eine Unmittelbarkeit entstehen, der man sich nicht entziehen kann. Indem er Tweets, Nachrichtenmeldungen, Parolen, Graffitis u.ä. in die Erzählung einstreut, lässt Hamilton die Bedeutung der digitalen Revolution einfließen, die erstmal im Arabischen Frühling voll zu tragen kam. Denn durch Twitter und Facebook wurde die Revolution in die ganzen Welt hinausgeschrien, so dass jeder sie live mitverfolgen konnte.

 

Unterteilt ist der Roman in drei Bücher, deren Jahreszahlen chronologisch angeordnet sind, deren Titel jedoch eine Rückwärtsgewandtheit erahnen lassen. Das erste Buch erzählt die Ereignisse am Ende des Jahres 2011. Hoffnung liegt noch in der Luft, die Hoffnung auf einen besseren Morgen . Das zweite Buch erzählt die Geschehnisse von 2013 und ist mit Heute überschrieben. Die Muslimbrüder treiben ihr Unwesen, Polarisierungen nehmen ebenso zu, wie Gewalt und Verbote. Das letzte Buch schildert das Leben unter al-Sisi im Jahr 2014 und trägt den Titel Gestern. Eine neue, noch brutalere Diktatur wurde errichtet. Schlimmer als unter Mubarak werden die Menschen im heutigen Ägypten unterdrückt, verhaftet, gefoltert und getötet. Die Revolution wurde gestohlen.

 

 

FAZIT

 

Stadt der Rebellion ist ein bedeutendes Zeugnis der verlorenen und verratenen Revolution des Arabischen Frühlings. Es ist ein Roman über die Hoffnung und das Aufbegehren, ein Roman aber ebenso über das Scheitern. Intensiv wird man in das Geschehen gerissen, spürt zu Beginn die Hoffnung, die durch die Luft flimmert, spürt den Enthusiasmus, der die Menschen befeuert und Mut verleiht. Doch genauso intensiv bekommt man die Verzweiflung vor Augen geführt, die Selbstvorwürfe und Resignation nach Jahren voller blutiger Kämpfe, an deren Ende eine noch brutalere Diktatur entstanden ist.

 

Der Roman ist erschütternd und verstörend, beeindruckend und eindringlich. Hamilton war seit den ersten Tagen des Aufstandes selbst vor Ort und hat den Arabischen Frühling an eigener Haut miterlebt. Er blieb mehrere Jahre in Ägypten, bis die Bedingungen unter al-Sisi zu unerträglich für ihn wurden. Der Roman ist eine Hommage an die Menschen, mit denen er arbeitete, mit denen er "Mosireen" gründete, jene Plattform, die in seiner Erzählung Chaos Collective heißt. Der Roman ist eine Hommage an die Getöteten, Gefolterten, Verletzten und Verschwundenen der letzten Jahre.

 

Er ist eine Hommage an die ägyptische Rebellion, deren Erinnerung al-Sisi auslöschen möchte.

 

 

 

Omar Robert Hamilton: Stadt der Rebellion

Roman, aus dem Englischen von Brigitte Walitzek

Gebunden, 320 Seiten

Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 2018

 

Mehr Informationen und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlags

 

 

  Bildnachweis: "Marsch der Millionen" © Amr Abdallah Dalsh/Reuters // Quelle: ZEIT online