...liest gerade "Babel" von Kenah Cusanit

Es ist eines der größten archäologischen Ereignisse der Menschheit. Der deutsche Architekt und Bauforscher Robert Koldewey entdeckt um 1900 das antike Babylon und gräbt nicht nur das weltbekannte Ischtar-Tor aus, das heute im Berliner Pergamonmuseum zu finden ist, sondern auch den legendären Turm zu Babel.

 

Doch am Ende seiner Ausgrabungen liegt Koldewey erschöpft im Bett und versucht seine eingebildete oder tatsächliche Krankheit mit Rezinusöl zu lindern. Seine Gedankengänge führen uns von den Quellen des jüdisch-christlichen Kulturraums, deren Geschichten nur Abschriften von älteren babylonischen und assyrischen Texten sind, über die weltpolitische Lage kurz vor dem 2. Weltkrieg in Deutschland und Nahost sowie über die Spuren, die Franzosen, Engländer und Deutsche in den größtenteils kolonialisierten Gebieten hinterlassen, hin zu den Ausgrabungen vor Ort.

 

Der Roman gibt schnell zu verstehen, dass die Geschichte der Menschheit seit Anbeginn ein in sich verflochtenes Geben und Nehmen ist. Dabei spielt er mit vielen Formen von Überlieferungen, denn es gibt eine Vielzahl an essayistischen Abhandlungen, es gibt Listen, Dialoge, Briefe, sogar Fotos.

 

Denis Scheck schrieb, der Roman sei "turmhoch allem überlegen, was sonst in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur in diesem Frühjahr erscheint", und so bin ich mit großen Erwartungen an die Lektüre gegangen.

 

Doch die Faszination kann ich leider nicht teilen. Mir ist der Roman zu essayistisch, zu konstruiert, zu gewollt. In jedem Satz merkt man dem Text an, dass eine Altorientalistin versucht, ihr Metier darzustellen, und den Roman dadurch mit Informationen überfrachtet, die den Erzählfluss stören und das Textgefüge sprengen.

 

 

 

Kenah Cusanit: Babel

Roman

gebunden, 272 Seiten

Hanser Verlag, München 2019