Jahresrückblick 2022

Ein bisschen spät, aber zum Glück haben Bücher ja kein Verfallsdatum.

Hier also noch meine Lesehighlights aus dem letzten Jahr. Interessanterweise sind es dieses Mal nur Frauen, die mich begeistern konnten.

 

 

 

"DUNKELBLUM"

von Eva Menasse

 

Es ist ein kleiner Ort, dieses Dunkelblum, idyllisch gelegen im österreichischen Burgenland. Seit Generationen bewohnen alteingesessene Familien den Ort und so bleibt man auch gerne unter sich. Argwöhnisch wird deshalb der fremde, alte Mann begutachtet, der in das Dorf kommt und Fragen nach Gräbern stellt, Fragen auch nach dem schallenden Fest am Ende des 2. Weltkriegs, nach Einwohnern, die seitdem als verschollen gelten. Plötzlich stehen die Geister der Vergangenheit wieder vor der Tür, denn über dem Ort liegt ein dunkles Geheimnis, ein Ungeheuer, das seit Jahrzehnten schläft und niemals geweckt werden sollte.

Ein wirklich intensiver, atmosphärischer und stilistisch brillanter Roman!

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"NACHTS IST ES LEISE IN TEHERAN"

von Shida Bazyar

 

Dies ist die bewegende Geschichte einer iranischen Familie und ihrem Streben nach Freiheit. In bedeutenden Zehn-Jahres-Schritten wird ihre Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Dadurch malt der Roman nicht nur ein Bild von Hoffnungen und Enttäuschungen der Familie, sondern porträtiert zugleich das Gefühlsleben eines ganzen Volkes. Denn in wichtigen Etappen wird die Geschichte des Irans seit der islamischen Revolution von 1979 bis heute erzählt, eines Staates, in dem Inhaftierung, Folter und Hinrichtungen Andersdenkender bis heute andauern, eines Staates, in dem das Volk immer wieder versucht, sich zu erheben und blutig niedergeschlagen wird.

Der Roman ist mitreißend und gerade jetzt hochaktuell:

ژن، ژیان، ئازادی - Jin, Jiyan, Azadî

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"GESAMMELTE WERKE"

von Lydia Sandgren

 

Im Mittelpunkt dieses großartigen Debüts stehen die unergründlichen Wege des Lebens, die oft erst rückblickend verstanden werden können. Daneben wird in leisen Zwischentönen nicht nur der Kampf zwischen Individualität und Gesellschaft skizziert, sondern auch das Ringen mit der ewigen inneren Leere. Nicht zuletzt geht es aber auch um weibliches Aufbegehren in einer männerdominierten Welt, in der es immer noch normal erscheint, wenn ein Vater die Familie verlässt, jedoch skandalös, wenn diesen Schritt eine Mutter wagt.

Gesammelte Werke ist eine Hommage an die Literatur und die Kunst, ein wahrlicher Schmöker, aus dem man nicht mehr auftauchen möchte.

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"DSCHINNS"

von Fatma Aydemir

 

Der Roman wirft die Frage nach Familie und Identität neu auf, denn was hält diese Menschen, die miteinander verwandt sind, eigentlich zusammen? Sind es die Geschichten, die man einander erzählt, wieder und wieder, meist auf Familienfesten? Oder sind es die Bruch- und Leerstellen, die sich wie Gräben durch Familien ziehen, die Geheimnisse, die man voreinander hat, die Wunden, die man sich schlägt?

Es ist ein Familien- und Generationen-, Migranten-, Arbeiter- und Zeitroman und handelt besonders von dem Drang nach Unabhängigkeit, Emanzipation, Selbstfindung und -behauptung.

Dschinns ist eine Wucht und ein zutiefst bewegender Roman!

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"AUFBRECHEN"

von Tsitsi Dangarembga

 

Diese Coming-of-Age Geschichte spiegelt eindrücklich die Erfahrungen eines Mädchens in einer patriarchalischen Welt wider. Rassismus, Apartheid und Armut bestimmen ihr Leben genauso wie alte Familienstrukturen und Stammesdenken. Doch durch den unbändigen Drang nach Bildung öffnet sich ihr eine ganz andere Welt. Immer mehr begreift sie, wie es um die Rolle der Frau bestellt ist in einem System, das Frauen knechtet und herabwürdigt.

Die fremde Welt in Afrika wird aus den Augen eines Kindes erzählt. Auf diese Weise machen die Beschreibungen der Kultur, der Menschen, ihrer Schicksale und Beweggründe, ihrer Probleme und Mentalitäten an diesem fernen Ort diesen Roman zu einem ganz besonderen.