Blutiges Fundament - "Underground Railroad" von Colson Whitehead

"All men are created equal" - so steht es in der Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776. Allerdings sind mit "all men" nicht wirklich alle Menschen gemeint. Colson Whitehead erzählt die packende Geschichte einer jungen farbigen Frau, die kurz vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg versucht, der Sklaverei und damit den unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen auf einer Baumwollplantage zu entkommen. Mit Hilfe eines ausgeklügelten Untergrundsystems flüchtet sie und es beginnt eine Odyssee durch den Südosten Amerikas, wo weiße Männer ungehindert ihren Rassenwahn ausleben dürfen und jeder Farbige als Freiwild gilt.

Cora teilt das Schicksal hundertausender Sklaven im Süden der USA. Sie arbeitet unter unmenschlichen Bedingungen auf einer der zahllosen Plantagen und ist dabei der Willkür ihrer Herren schutzlos ausgeliefert. Prügel und Auspeitschungen, Folter und Totschlag sind an der Tagesordnung.

 

Seitdem ihre Großmutter aus Afrika verschleppt und nach Amerika verkauft wurde, fristet die Familie ihr Leben in Sklaverei. Allein Coras Mutter gelang vor Jahren die Flucht. Immer wieder werden grausame Exempel an aufgegriffenen Farbigen statuiert, doch Coras Mutter bleibt verschwunden. Als auch Cora es irgendwann nicht mehr aushält, beschließt sie mithilfe der Underground Railroad zu fliehen. Gegner der Sklaverei haben ein weit verzweigtes Streckennetz unter der Erde ausgehoben, um mit unterirdischen Bahnen Flüchtlinge bis ins freie Kanada zu fahren. Allerdings weiß man nie, ob die Verbindungen zu den nächsten Orten noch existieren, ob die nächste Station noch betrieben wird oder deren Betreiber noch leben.

 

So entspinnt sich eine Flucht auf Leben und Tod, denn Cora wird von Kopfgeldjägern erbarmungslos verfolgt. Sie hetzt von einem Bundesstaat in den nächsten, stets auf der Suche nach ein bisschen Frieden, stets auf der Suche nach einem Flecken Heimat. Doch überall, wo sie hinkommt, schlägt ihr nur eines entgegen: der grenzenlose Hass der Weißen.

 

 

DIE GROẞARTIGSTE DEMOKRATIE DER WELT

 

Eines wird in diesem Roman schonungslos offen gelegt: Das Fundament der USA ist nicht nur hohl und wackelig, sondern vor allem blutverschmiert. Errichtet wurde 'das freieste Land der Welt' auf Vertreibung, Entführung, Ausbeutung und Mord. Die zwei Ursünden der USA sind im Roman stets präsent. Da ist zum einen die Landnahme, Vertreibung und Ausrottung der indigenen Bevölkerung Amerikas, zum anderen das perverse System der Sklaverei, bei dem Millionen Menschen aus Afrika entführt, entrechtet und zu einem Ding erniedrigt wurden, ein Ding, das irgendeines weißen Mannes Eigentum wurde. So zerschlägt die Protagonistin  den Gründungsmythos des American Dream auf anschauliche Weise, als sie sinniert: "Geraubte Körper bearbeiteten geraubtes Land."

 

US map 1856 shows free and slave states and populations
US map 1856 shows free and slave states and populations

Im Roman wird ebendiese Monstrosität eindrucksvoll geschildert. Man begegnet Gutsbesitzern, die sich als Könige fühlen und über Leben und Tod bestimmen, Bürgern, die sich tief gläubig an das Wort Gottes in der Bibel halten und Farbige töten, sowie Menschen, die für Geld Jagd auf andere Menschen machen. "In einem anderen Land wären sie Verbrecher geworden, aber das hier war Amerika." Allen gleich ist das Suprematiedenken sowie der Hang zum Sadismus. Denn wie perfide die Weißen farbige Menschen foltern, wie sie sie wie Vieh ausstellen, vorführen und lynchen, wie sie sich an der Gewalt weiden und sie bereits ihren Kindern einimpfen, lässt nur den Schluss zu, dass der Großteil der weißen Bevölkerung im Süden in Erniedrigung, Folter und Mord einen Rausch findet, der sie zutiefst befriedigt.

 

Zum Glück treten jedoch auch Abolitionisten auf, jene Menschen, die sich gegen Sklaverei auflehnen und sie zerschlagen wollen, die unter Einsatz ihres Lebens zu helfen versuchen. Dabei stehen weniger die Nordstaatler im Fokus, die die Sklaverei schon längst hinter sich gelassen haben, sondern vielmehr die wenigen Südstaatler, die sich bei der Unterstützung von Flüchtlingen auf ihrem Weg in die Freiheit in Lebensgefahr begeben. Denn diese Menschen müssen ebenso mit dem Tod rechnen wie ihre Schützlinge. Nicht umsonst erinnern deswegen viele Szenen an Helfer von Juden im Dritten Reich.

 

Der tiefe Riss in der amerikanischen Gesellschaft läuft schließlich auf den Sezessionskrieg (1861-1865) hinaus. Erst der Amerikanische Bürgerkrieg wird der Sklaverei auch in den Südstaaten offiziell ein Ende bereiten.

 

 

DIE UNDERGROUND RAILROAD  ALS  ALLEGORIE

 

Die Untergrundbahn samt ihres weit verzweigten Tunnelsystems gab es nicht wirklich. Sie ist genauso fiktiv wie einige andere Darstellungen im Roman. Whitehead spielt hier mit seiner künstlerischen Freiheit, denn vieles ist überspitzt gezeichnet. So haben z.B. die Einwohner in North Carolina alle Farbigen getötet, allein aus Angst heraus, ihnen irgendwann zahlenmäßig unterlegen zu sein, da immer mehr Sklaven nachkommen.

 

Allerdings gab es die Underground Railroad  tatsächlich im 19. Jahrhundert. Es war jedoch keine Eisenbahn, sondern die Bezeichnung für ein Netz von Pfaden und sicheren Häusern, die Gegner der Sklaverei nutzten, um Flüchtlinge in den Norden zu schleusen, meist ins sichere Kanada. Unter Lebensgefahr halfen Abolitionisten den entrechteten Menschen im Süden und bauten ein Streckennetz aus, mit dem sie Tausenden das Leben retteten und Freiheit schenkten.

 

Whitehead spielt hier also nicht nur mit seiner künstlerischen Freiheit, sondern auch mit der Metapher aus dem 19. Jahrhundert. Er nutzt sie, um daraus eine Allegorie ins Leben zu rufen, die er in seinem Roman zum Leben erweckt. Ein grandioser Kniff!

 

 

 FAZIT

 

Auch wenn nicht alle Tatsachen der Wirklichkeit entsprechen, ist dieser Roman nicht nur erschreckend und erschütternd, sondern auch lehrreich. Er ist zugleich feinfühlig und barbarisch, subtil und spannend erzählt und zeigt dabei rücksichtslos auf, was es in Amerika bedeutet, nicht weiß zu sein. Wer die heutige USA verstehen will, wer verstehen will, wie es zu Charlottesville und Ferguson kommen konnte, wer den Riss zwischen Nord und Süd in den USA begreifen möchte, der muss sich mit dem perversen System der Sklaverei auseinandersetzen, ja der muss diesen Roman lesen. In Zeiten wiederaufflammenden Rassismus', in Zeiten von Trump und Alt-Right-Bewegungen, von White Men Supremacists und eskalierender Polzeigewalt kommt dieser Roman genau zur rechten Stunde! Nicht umsonst erhielt Whitehead dafür den National Book Award sowie der Pulitzer-Preis.

 

Black lives matter! Damals genauso wie heute!

 

 

 

Colson Whitehead: Underground Railroad

Roman, aus dem Englischen übersetzt von Nikolaus Stingl

Gebunden, 352 Seiten

München: Carl Hanser Verlag 2017

 

Mehr Informationen und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlags

 

 

 

Bildnachweis: "Reynolds's Political Map of the United States" (1856) from the Library of Congress Geography and Map Division // Quelle: Wikimedia Commons