Es summt und brummt in der beschaulichen Eifel. Überall schwirren sie durch die Lüfte, Bienen, die nach Nektar suchen, Bienen, die von Leben zeugen, vom ewigwährenden Zyklus der Natur. Doch auch
Flugzeuge verdunkeln den Himmel, Bomber, die ihre Fracht über den Städten des Rheinlandes abwerfen und Vernichtung bringen.
Denn es ist 1944.
Es ist Krieg.
Der Ich-Erzähler des Romans wurde wegen seiner Epilepsie durch das nationalsozialistische Regime vom Schuldienst ausgeschlossen. Nun widmet er sich der Bienenzucht und tritt damit in die
Fußstapfen seiner Vorfahren. Der Bruder, ein angesehener Flugheld im Krieg, schickt ihm die dringend benötigte Medizin, um seine epileptischen Schübe in Grenzen zu halten. Doch als er keine
Nachricht mehr von ihm erhält, muss er auf anderen Wegen an Geld gelangen. Und so betreibt er einen Schmuggelpfad nach Belgien. In seinen doppelbödigen Bienenkästen versteckt er seine Ware, gut
getarnt unter tausenden Bienen.
Denn seine Ware ist einmalig.
Seine Ware sind Juden.
In Tagebuch ähnlichen Aufzeichnungen beschreibt der Imker die letzten Monate des Krieges, das Leben in der Eifel, seine Krankheit, Affären und Beziehungen zu den anderen Dorfbewohnern, die ihn meistenteils argwöhnisch beäugen. Er schreibt über die nahende Front, über Fieberschübe und Halluzinationen. Und natürlich schreibt er über Bienen. Systematisch in einem Volk organisiert, findet jede Biene ihren Platz in der Gemeinschaft. Jede einzelne trägt einen Teil zu dem Sozialsystem bei, in dem im Winter die nächste Generation herangezogen und geschützt wird. Bienen sind ein friedfertiges Volk, leben unter sich, stacheln keine Revolutionen auf und erobern keine anderen Völker. Sie sind der Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Volksgedanken.
Die unaufgeregte Erzählweise kommt sehr leichtfüßig daher und bildet einen krassen Kontrast zu der Zeit höchster Aufregung und Chaos zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Krieg wird meist aus der Ferne geschildert. Es schwirren Flugzeuge durch die Luft, Zwangsarbeiter placken am Straßenrand und Feldsoldaten betrinken sich in der Dorfbar.
Allerdings bleibt ein verwirrender Rest, der vor dem Hintergrund des Nationalsozialimus schwer im Magen liegt. Denn in einer Zeit, in der der Volksgedanke über allem steht, wird mit ebendiesem Begriff eine andere Gemeinschaft beschrieben, eine Gemeinschaft, die ebenfalls eine Führerin kennt, die Königin des Bienenvolkes, die ihr Volk leitet. Zudem werden einzelne Bienen von ihren Artgenossen aussortiert und getötet, sobald sie ihren Nutzen für die Gemeinschaft verlieren.
Das Positivbild des Bienenvolkes ächzt und knarzt, wenn man sich den damaligen Volksgedanken vergegenwärtigt, dessen Konnotation unwiderruflich mitschwingt. Es entstehen Reibung und Spannung, die sich nicht auflösen lassen. Zurück bleibt so ein interessanter Roman, der hinsichtlich des Volksbegriffes Verwirrung hinterlässt. Genau darin liegt jedoch meines Erachtens die Besonderheit dieses Romans. Denn muss Literatur immer auflösbar sein?
Norbert Scheuer: Winterbienen
Roman
Hardcover, 319 Seiten
C.H.Beck Verlag, München 2019