...liest gerade "Metropol" von Eugen Ruge

Ein Gespenst geht um in der UdSSR - das Gepenst des Stalinismus.
Es kommt im Gewand der Angst daher. Denn Menschen verschwinden, werden diskreditiert, verhaftet, verurteilt - hingerichtet.
Es sind Dutzende. Hunderte. Tausende.
Und jeder kann der Nächste sein.

 

Charlotte und Wilhelm sind überzeugte Kommunisten. Sie fliehen vor dem Nationalsozialismus und siedeln in die UdSSR über, in das Land ihrer Träume. Dort herrscht Stalin, an dessen Lehren und Wirken sie unbeirrt glauben. Schon in Deutschland arbeitete das Paar für die Kommunistische Internationale, die Weltorganisation der kommunistischen Parteien.

 

Doch dann beginnt der Terror. Die Verhaftungswelle Stalins überschwemmt die Abteilung für Internationale Verbindungen, in der sie arbeiten. Zunehmend geraten die Mitarbeiter ins Fadenkreuz, werden verhaftet und bei Schauprozessen vorgeführt. Als auch noch Bekannte von Charlotte und Werner verurteilt werden, zweifeln sie selbst an ihrem Urteilsvermögen und können nicht fassen, dass sie mit Verrätern befreundet waren. Durch ihre Bekanntschaften machen sie sich allerdings verdächtig und so schnürt sich die Schlinge immer weiter zu. Überall lauern plötzlich Verrat, Angst und Denunziation.

 

Bald schon werden sie gezwungen, ins Hotel Metropol umziehen, ein Ort, an den Menschen geschickt werden, denen der unwiderrufliche Makel des Verrats anhaftet. Immer wieder ziehen neue Kollegen in das Hotel ein, und immer wieder verschwinden alte von einem auf den anderen Tag. Glauben Charlotte und Werner anfangs weiterhin an die Theorien des Kommunismus und damit an die erbarmungslosen Säuberungsaktionen des Regimes, schleichen sich mit der Zeit Zweifel ein. Als sie schließlich aufwachen, ist es jedoch zu spät und sie blicken erschrocken dem entgegen, was ihnen selbst blühen könnte.

 

Anhand von Originaldokumenten rekonstruiert Eugen Ruge mit dieser Erzählung das Leben seiner Großmutter, die am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in der UdSSR lebte und agierte. Neben amtlichen Mitteilungen und Bescheiden sowie Akteneinträgen finden sich Briefe, die wie zur Verifizierung des Geschriebenen in Kopie beigefügt sind. Im Epilog beschreibt der Autor sogar seine Herangehensweise an den Stoff und erklärt, was Dichtung und Wahrheit sei. Die Geschichte stellt also einen Roman dar, der zwischen Dokumentation und Fiktion angesiedelt ist, einen Tatsachenroman, der einerseits das Grauen der stalinistischen Verfolgungen deutlich macht, sich andererseits als eine Annäherung an des Autors Großmutter erweist.

 

In der Literaturkritik wurde der Roman hochgelobt und gefeiert. Auch ich finde ihn durchaus lesenswert. Dennoch kann ich nicht ganz in die Begeisterungsstürme einfallen. Dafür lässt mir die Geschichte zu wenig Raum für Eigeninterpretationen. Lücken, die die eigene Imagination in Gang setzen, kommen nicht vor, vielmehr wird die Angst und Verzweilfung stets aufs Neue nüchtern geschildert, so dass der Effekt irgendwann verpufft.

 

Unweigerlich musste ich bei der Lektüre an "Der Lärm der Zeit" von Julian Barnes denken, da auch dort die stalinistischen Säuberungsaktionen den Hintergrund der Geschichte bilden. Die alltägliche Angst, abgeholt, verurteilt und hingerichtet zu werden, wird hier viel atmosphärischer, da subtiler erzählt. Und so kommen auch Ohnmacht und Verzweiflung meiner Meinunug nach feinfühliger und ergreifender zur Geltung.

 

Dennoch bleibt Eugen Ruges Roman natürlich ein spannender Pageturner, dessen Lektüre sich lohnt.

 

 

 

Eugen Ruge: Metropol

Roman

Hardcover, 432 Seiten

Rowohlt Verlag, Hamburg 2019