...liest gerade "Frankenstein in Bagdad" von Ahmed Saadawi

Ein Monster geht um.

Es ist der Tod, der auf leisen Sohlen Verbrecher jagt.

Doch wer steckt hinter dem selbsternannten Rächer?

Das neu gegründete Amt für Beobachtung und Beurteilung nimmt die Ermittlungen auf - mit Hellsehern und Astrologen.

 

Im Bagdader Viertel Batawin kennt man sich. Und doch misstrauen sich die meisten Einwohner, denn zwei Jahre nach dem Einmarsch der US Streittruppen herrscht Bürgerkrieg. Selbstmordanschläge überschatten die Gegend, reißen Menschen in den Tod und Gebäude in den Abgrund. Angst und Misstrauen sind zum prägenden Gefühl einer ganzen Stadt geworden. Doch mittendrin ereignen sich plötzlich seltsame Vorfälle. Einst skrupellose Menschen verschwinden und werden tot aufgefunden.

 

Der Trödelhändler Hadi erzählt eine Geschichte, die aufhorchen lässt, eine Geschichte über aufgelesene Leichenteile, die er zu einem vollständigen Körper zusammengesetzt haben will. Und wie Gott will, sei dieser Körper nun verschwunden. Ist sein Monster also tatsächlich lebendig geworden? Ist es wirklich verantwortlich für die neuste Mordserie? Oder treibt jemand anderes hinter dem Deckmantel des Mythos sein Unwesen?

 

In einem klug inszenierten und stark selbstreferentiellen Roman wird über das Bagdad von 2005 erzählt. Selbstmordanschläge gehören nach dem Einmarsch der US Truppen ebenso zum Alltag wie die Abneigung gegen die Amerikaner, die niemandem über ihr Vorgehen Rechenschaft ablegen müssen. Der aufflammende Bürgerkrieg vertieft die Gräben zwischen Religionen, Ethnien und Kulturen und spielt sich vor den Toren der neu zu ordnenden Politik ab, denn die Macht im Land wird neu verteilt, neue Ämter entstehen, neue Posten werden geschaffen und neue Zuständigkeiten vergeben. Und das weckt Begehrlichkeiten.

 

Die Erzählung schenkt einen tiefen Einblick in das Alltagsleben eines von Diktatur und Krieg gebeutelten Landes, das immer schon verschiedene Religionen, Ethnien und Kulturen beheimatete. Ein Leben, das nunmehr von Angst und Misstrauen kontrolliert wird. Es ist die Geschichte über einen niemals endenen Kreislauf, in dem Morde neue Morde nach sich ziehen, Täter zu Opfer werden und Opfer zu Tätern, es ist die Geschichte einer endlosen Gewaltspirale, in der vergossenes Blut immer wieder nach neuem Blut schreit und der Unterschied zwischen Schuld und Unschuld verwischt.

 

Saadawis Roman hält der Bagdader Gesellschaft einen ebenso satirischen wie erschreckenden Spiegel vor, denn mit schwarzem Humor entsteht ein polyphones Bild des Iraks, geradezu eine Parabel auf die Missstände der Gesellschaft, eine Parabel, die oft schmunzeln und im nächsten Moment erschaudernd zusammenzucken lässt.

 

2014 mit dem International Prize for Arabic Fiction ausgezeichnet und 2018 für den Man Booker International Prize nominiert, erschien die deutsche Übersetzung 2019 im Assoziation A Verlag und ist absolut lesenswert.

 

 

 

Ahmed Saadawi: Frankenstein in Bagdad

Roman

Hardcover, 296 Seiten

Assoziation A, Berlin 2019