Gale verbringt die letzte Nacht vor Anker in den Kneipen Antwerpens. Als er morgens zum Hafen zurückkehrt, hat das Schiff, auf dem er als Seemann arbeitet, ohne ihn abgelegt.
An Bord befindet sich jedoch sein Ausweis, seine Seemannskarte. Zunächst unbekümmert, merkt er schon bald, dass er mit der Karte plötzlich seine Identität verloren hat.
Und mit seiner Identität sein Leben.
Es beginnt eine Odyssee. Der amerikanische Seefahrer kann sich nicht mehr ausweisen und irrt fortan als Staatenloser von Land zu Land. Selbst in der Botschaft kann ihm nicht geholfen werden, da er keinen Nachweis seiner US-Bürgerschaft erbringen kann. Auf seinem Streifzug durch die Ländern Europas wird er immer wieder von der Polizei verhaftet und ausgewiesen. Nichts scheint wichtiger in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als einen Pass zu besitzen. Und so gibt ihm niemand mehr Arbeit, niemand heuert ihn an, im Gegenteil, er wird vertrieben.
In Spanien wird ihm dann doch angeboten, wieder auf einem Schiff zu arbeiten. Die Mannschaft sieht erbärmlich aus, der Kahn ist in katastrophalem Zustand, der Anwerber zwielichtig. Dennoch heuert er an. Es ist seine einzige Chance. Und so landet er auf einem Totenschiff, das dazu verdammt ist, so lange über die Meere zu fahren, bis es sinkt und der Besitzer die Versicherungssumme einstreichen kann. So wird auch nicht nach Ausweisen gefragt, da man den Tod der Mannschaft billigend in Kauf nimmt. Auf dem Schiff verrichtet er lebensgefährliche Arbeiten. Und trotz des Untergangs, dem er entgegenblickt, trotz der Hoffnungslosigkeit, die ihn umgibt, verliert er nie seinen Mut, nie seinen Lebenswillen. Nie seinen Humor. Selbst dann nicht, als das Schiff kentert und es sinkt.
Erzählt wird die Geschichte von dem Seefahrer selbst. In seiner groben und harten Seemannssprache, die dennoch von einer Art Bauernschläue zeugt, zeichnet er seine Irrfahrt in einem bissigen, sarkastischen und ironisch gebrochenen Ton nach. So erinnert die Erzählung beinahe an einen Schelmenroman, in dem der Held allerlei Prüfungen zu bestehen hat, Abenteuer, in die er unverschuldet hineinstolpert. In manchen Situationen ergeben sich geradezu Slapstickeinlagen à la Charlie Chaplin, die beim Leser die Tränen fließen lassen.
Zwischen den Zeilen finden sich jedoch revolutionäre, vom Geiste des Kommunismus beeinflusste Anklänge. Da wird die moderne Technisierung, die den Menschen zur Maschine degradiert, genauso kritisiert wie der Kapitalismus, dem jedes Mittel recht ist, sein Geld zu vermehren. Kritisiert wird ebenso die Staaterei, die Menschen nach Nationalitäten trennt, genauso wie die Idee der Nation, in der Dokumente wichtiger sind als der Mensch. Denn nur mit solch einem Nachweis bezeugt man, dass man geboren wurde, dass man der Menschenrasse angehört, dass man zu den Lebenden zählt und eben nicht zu den Toten.
"Das Totenschiff" ist ein hochamüsanter und dennoch politischer Roman. Mit seiner Thematik der Staatenlosigkeit, der Nation und Migraton als auch mit seiner Kapitalismuskritik schlägt er Brücken bis in unsere Zeit. Schon 1926 erschienen, wurde er in 30 Sprachen übersetzt und sogar mit Mario Adorf verfilmt. Zu dieser Berühmtheit hat wohl auch das Mysterium um den Schriftsteller B. Traven beigetragen, denn immer noch ist nicht gänzlich geklärt, wer sich hinter dem Pseudonym von einst verbirgt.
B. Traven: Das Totenschiff
Roman
Taschenbuch, 320 Seiten
Diogenes Verlag, Zürich 2015