...liest gerade „Die Aufdrängung“ von Ariane Koch

Noch nie hat sie die das Dorf verlassen, obwohl sie schon oft davon träumte, die Monotonie zu durchbrechen und auf Reisen zu gehen. Doch sie hasst diese Kleinstadt und will sich an ihr rächen - indem sie bleibt.

 

So streift sie durch die Stadt und erblickt eines Tages einen Fremden. Neugierig nimmt sie ihn mit zu sich und bringt ihn in einem der zehn Zimmer ihres Hauses unter. Die Matratze muss er sich selbst besorgen. Betrachtet sie den Gast anfangs noch als Experiment und lässt sich herrschaftlich bedienen, übernimmt der Fremde mehr und mehr die Macht, übernimmt Kleidung, Möbel und feiert Partys im Garten. Schließlich will sie ihn loswerden, doch wie nur soll sie es anstellen? Und will sie eigentlich wirklich, dass er geht?

 

Nüchtern und klar schreibt Koch über unerhörte Ereignisse in einem nicht näher verortbaren Ort mit namenlosen Protagonisten – ein Stil, der an Kafka erinnert. Auch inhaltlich bleibt der Roman in der Schwebe. Denn wer drängt sich hier eigentlich wem auf, wer manipuliert wen – und wer zum Teufel ist überhaupt dieser Gast?

 

Ist es ein Auswärtiger, gar ein Flüchtling, der eine neue Heimat sucht? Ist es ein Hund? Eine Metapher? Eine Allegorie? Ist es die Sehnsucht, die sich in ihr eingenistet hat und die sie schließlich forttreibt? Ist es eine verdrängte Schuld, die wieder aufstößt? Ist es eine Art Melancholie? Eine Depression? Spielt sich die Geschichte tatsächlich so ab oder entstehen die Bilder nur in ihrem Innern? Spielt sich die Geschichte überhaupt ab? Und wenn wir schon dabei sind, woher kommen wir? Wohin gehen wir?

 

Wie bei Kafka sind der Interpretationsmöglichkeiten keine Grenzen gesetzt, denn auf nur 176 Seiten werden sachte aber bestimmt vielerlei dichotome Themen aufgeworfen, die von Gastfreundschaft und Fremdheit bzw. Heimat und Integration über Unterwürfigkeit und Ergebenheit bis hin zu Wandel und Stillstand sowie Einsamkeit und Gesellschaft reichen.

 

Ein bemerkenswerter Roman, dem zum Ende hin jedoch die Luft ausgeht, so dass ich froh war, dass es sich nur um ein schmales Bändchen handelte.

 

Erschienen ist der Roman bei Suhrkamp, wurde ausgezeichnet mit dem Aspekte Literaturpreis 2021 und stand auf der Shortlist von Das Debüt.

 

 

 

Ariane Koch: Die Aufdrängung

Roman

Broschur mit Schutzumschlag, 179 Seiten

Suhrkamp Verlag, Berlin 2021