Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust - "Der Sympathisant" von Viet Thanh Nguyen

Die Gewinner schreiben die Geschichte, erlangen die Deutungshoheit über die Interpretation der Ereignisse und hinterlassen den nächsten Generationen damit ein meist einseitig gefärbtes Bild. So ist es stets gewesen und so wird es wohl immer sein. Allerdings bildet der Vietnamkrieg eine große Ausnahme in dieser Tradition. Es ist zwar allgemein bekannt, dass die USA in den 70er Jahren den Krieg gegen das kommunistische Ho Chi Minh Regime verloren haben, dennoch ist es vornehmlich Hollywood, das die Geschichten dieses Krieges geschrieben und ganz nach seinen Vorstellungen interpretiert hat. Der in Vietnam geborenen und in den USA aufgewachsene Autor Viet Thanh Nguyen erzählt in seinem Roman die Geschichte dieses Krieges neu, erzählt sie aus Sicht der scheinbaren Gewinner und offenbart damit, dass es letztlich doch nur Verlierer gab.

Drei Freunde, durch Blutsbrüderschaft in der Kindheit in ewiger Freundschaft verbunden, werden durch Kriegswirren und politische Überzeugungen getrennt. Der eine, Bon, ergreift Partei für die Republikaner, der andere, Man, wird Kommunist. Der namenlose Ich-Erzähler schwebt als Spion zwischen beiden Seiten. Das ganze Schicksal Vietnams spiegelt sich in der Konstellation dieser Freundschaft wider.

 

Die Geschichte setzt ein mit dem Sturm auf Saigon. Es sind die letzten Tage des seit beinahe drei Jahrzehnten anhaltenden Krieges. Die ganze Stadt ist in Aufruhr und versinkt in Chaos. Die Amerikaner flüchten überstürzt vor den anrückenden Einheiten des Nordens, lassen sich ausfliegen und damit ihre Verbündeten der republikanischen Armee im Stich. Nur wenige Vietnamesen können mit ihnen fliehen, meist gegen viel Geld. Unter ihnen ist nicht nur Bon, sondern auch ein General und dessen rechte Hand, der Ich-Erzähler, ein Maulwurf, der den Kommunisten seit Jahren Informationen beschafft.

 

In den USA leben die Vietnamesen zunächst als Flüchtlinge in Camps, später am Rande der Gesellschaft. Das Einleben ist schwierig und deprimierend. Dabei arbeitet der Ich-Erzähler für beide politische Lager, er soll sowohl für den General als auch für Man die vietnamesische Community im Exil überwachen und etwaige Feinde denunzieren. Der Zwiespalt in seinem Herzen beginnt rasch zu wachsen. Als der General schließlich den Widerstand organisiert und mit einem bewaffneten Trupp die Rückeroberung Vietnams plant, wird der Protagonist auf die Probe gestellt. Sein Jugendfreund Bon meldet sich freiwillig, um als Guerillakrieger nach Vietnam zurückzukehren. Der Ich-Erzähler muss ihn verraten, will ihn aber gleichzeitig retten. Also kehrt er gegen den Willen der kommunistischen Kader mit Bon in seine Heimat zurück, um ihn vor den eigenen Leuten zu beschützen. Was ihn dort erwartet, verändert jedoch sein Leben.

 

 

GESTÄNDNIS EINES BASTARDS

 

Die Geschichte ist angelegt als fiktives Geständnis des Protagonisten. Er schreibt seine Geschichte nieder und spricht dabei immer wieder einen Kommandanten an, in dessen Auftrag er diese Zeilen schreibt. Bereits der Anfang verdeutlicht das Thema und die ganze Misere des Ich-Erzählers: "Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern. Da ist es vielleicht kein Wunder, dass ich auch ein Mann mit zwei Seelen bin."

 

Als Sohn einer Vietnamesin und eines französischen Pfarrers lernt er früh, was es heißt, als Bastard zwischen zwei Welten zu leben. Er wächst als Sonderling auf und gehört nirgends richtig dazu. Im weiteren Verlauf verschärft sich dieser innere wie äußere Widerspruch noch. Er ist nicht nur in seiner Abstammung zweigeteilt, sondern auch in seinen politischen Überzeugungen. Schon früh studiert er als Spion in den USA, lernt die amerikanische Kultur kennen, die er zwar abzulehnen meint, dessen angenehme Vorzüge er aber auch zu genießen weiß. Später gilt er wiederum als Intellektueller, so dass er auch im kommunistischen System aufstößt und ins Fadenkreuz gerät. So wird er seit Geburt zwischen östlicher und westlicher Welt aufgerieben, was ihm schließlich zum Verhängnis wird.

 

 

DIE DEUTUNGSHOHEIT DER GESCHICHTE

 

Die Gräuel des Vietnamkriegs sind allseits bekannt. Napalm, Agent Orange, My Lai und andere Kriegsverbrechen sind zuhauf dokumentiert, inszeniert und erzählt worden. Bislang unbekannt ist jedoch die Sicht der Vietnamesen auf den Krieg und seine Folgen. Hier stellt der Roman nicht nur das schwierige Exilantenleben in den USA heraus, wo die Flüchtlinge meist außerhalb der Gesellschaft lebten, da sie die Amerikaner an die Niederlage ihrer stolzen Nation erinnerten, sondern auch die einseitige mediale Betrachtungsweise dieses Krieges.

 

So hat Hollywood hat eine vielzahl an Vietnamfilmen abgedreht, in denen es jedoch niemals um die Einwohner des Landes ging, sondern zumeist nur um den heroischen Kampf der 'guten' (amerikanischen) gegen die 'bösen' (vietnamesischen) Soldaten, später um die Sinnfrage dieses langen Krieges, um die Opfer oder um manche Kriegsgräuel. Vietnamesen traten jedoch ausschließlich nur als Statisten in den Filmen auf und wurden dadurch zur Kulisse degradiert. Sie waren entweder die bösen Kommunisten oder die zivilen Opfer, eine Betrachtungsweise, die unser Bild des Krieges bis heute prägt. Auch der Ich-Erzähler spielt in solch einem Film mit, versucht ihn zu beeinflussen, doch wird mit unlauteren Mitteln ins Abseits gedrängt. Hollywoods Blogbuster treiben den Krieg damit weiter und übernehmen schließlich die Deutungshoheit der Geschichte, indem sie ein einseitiges Bild erschaffen, das ganze Generationen beeinflusst.

 

 

FAZIT

 

Der Roman hat nicht nur den Pulitzerpreis 2016 gewonnen, sondern auch den Deutschen Krimipreis 2018. Eine Lesart als Krimi finde ich allerdings abwegig, auch wenn der Roman durchaus Züge eines Thrillers zeigt. Die Sichtweise eines Vietnamesen auf die Geschichte ist jedoch interessant und spannend. Zugleich stellt der Roman die Schwächen und Lügen des Amercian Way of Life dar und spart nicht mit Kritik an Poltik, Gesellschaft und Medien. Auch die Zerrissenheit kann man als Leser gut nachempfinden, da man  für beide Seiten gleichermaßen Sympathie (oder besser Antipathie) empfindet.

 

Dennoch hat mich der Roman nicht vollends überzeugen können. Manche Passagen sind zu langatmig, andere sind zu eindeutig auf Kritik ausgerichtet. Zwar wird der Film Apokalypse Now auf sarkastische Weise aufs Korn genommen, dennoch dauert die Szene viel zu lange und wirkt wie ein Fremdkörper in der Erzählung. Auch die Rückkehr nach Vietnam und die damit verbundenen Ereignisse empfand ich als nervig und langatmig. So hinterlässt der Roman ein zwiespältiges Gefühl bei mir, ist er doch interessant und langatmig zugleich, ganz so wie der Charakter des Protagonisten.

 

 

 

Vieth Thanh Nguyen: Der Sympathisant

Roman, aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller

Gebunden, 528 Seiten

München: Blessing Verlag 2017

 

Mehr Informationen und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlags