...hört gerade Nino Haratischwili zu

Georgien als Folie für die Ukraine.

 

Nino Haratischwili las gestern im Freiburger Literaturhaus aus ihrem neuen Roman „Das mangelnde Licht“, der aktueller nicht sein könnte.

 

Vier Freundinnen wachsen im Georgien der 80er und 90er Jahre auf, in einem Land, in dem staatliche Strukturen zunehmend zerfallen, eine Wirtschaftskrise die Menschen zersetzt, Drogen die neue Freiheit überschwemmen und ein Krieg ausbricht, der alle traumatisieren wird. In den Städten herrschen mafiöse Gruppen. Die Gesellschaft brutalisiert sich immer mehr und so versucht jeder in diesem anarchischen Dschungel irgendwie zu überleben.

 

Wie kann es sein, dass manche Menschen in unmoralischen Zeiten dennoch moralisch handeln, wohingegen andere zu Monstern werden? Dieser Frage versucht Haratischwili literarisch auf den Grund zu gehen und so verwebt sie persönliche Geschichten mit dem kollektiven Bewusstsein einer ganzen Generation.

 

Eigentlich sollte der Roman schon im letzten Herbst erscheinen, wegen der Pandemie wurde die Veröffentlichung aber verschoben. Nun erschien er im Februar, einen Tag nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Auch wenn die Welt einen neuen Krieg sieht, sind die Parallelen beider Länder und ihr Verhältnis zum Nachbarn frappierend. Beide sind ehemalige Sowjetstaaten und so wie es in der Ukraine die Regionen Donezk und Luhansk gibt, existieren in Georgien Abchasien und Südossetien. Auch diese sind abgetrennt vom Land und stehen unter russischem Einfluss, auch in diesen wurde Krieg geführt mit russischer Unterstützung, und auch hier entstanden ähnliche Bilder, wie wir sie nun aus dem Donbass und dem Rest der Ukraine kennen.

 

Auf Putin und den Krieg angesprochen, offenbarte Haratischwili ihre glasklare Meinung. Seit Jahren sehe die Welt, wie Russland vorgehe, in Abchasien und Südossetien, in Tschetschenien und in Syrien, auf der Krim und im Donbass. Lange habe man die Augen verschlossen, weil diese Konflikte in unseren Augen weit weg schienen. Für die Menschen im Osten gehört die Aggression Russlands allerdings seit Jahrzehnten zu ihrem Leben.

 

 

 

Nino Haratischwili: Das mangelnde Licht

Roman

Hardcover, 832 Seiten

Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2022