Martha wächst auf einem Hof mitten in den Bergen auf. Die Zeiten sind karg, das Leben ist schwer. Der Vater schlägt sie, die Mutter kuscht, die Brüder sind verängstigt. Zu allem Übel frisst sich ein Wurm durch das Land, ein gefräßiger, dicker Wurm, der es sogar bis in die entlegensten Orte schafft. Auch vor dem Bergdorf macht er nicht Halt und stürzt die ganze Familie ins Unheil.
Jahrzehnte später kommt Martha als gebrochene Frau zurück. Damals hat sie ungeheure Schuld auf sich geladen, die sie nun endlich ablegen will. Denn nur aus einem Grunde ist sie nochmals hier herauf gekommen. Hier möchte sie endlich sterben.
Eins vorab: Dieser Roman ist eine Wucht!
Ich habe ihn in einem Zug durchgelesen. Die Geschichte, die Sprache, die Bilder und Metaphern sind einfach unglaublich perfekt aufeinander abgestimmt. Lange habe ich kein Buch mehr gelesen, das mich so ergriffen und aufgewühlt hat.
Auf nur 150 Seiten lesen wir hier von einem ganzen Leben, das so berührend ist, dass man es nicht mehr vergisst. Dabei ist die klare und nüchterne, dennoch bildreiche Sprache des Romans, die immer wieder auf Landschaften und Gegebenheiten des Berges referiert, nicht nur Träger der Geschichte, sondern steht auch im Mittelpunkt des Geschehens. Denn es geht ums Erzählen, ums Wortefinden und Stimmeerheben gegen das Grauen.
Damals fraßen sich die Ideen des Nationalismus durch die Menschen. Karge Zeiten machten anfällig für Beschuldigungen und Denunziationen, im Elend suchte man Schuldige und Verantwortliche für die Misere und fand sie im Ausland und den Juden. Aggressionen und Wut nahmen zu, bis sie die Gesellschaft zerrissen und die ganze Welt in die Katastrophe stürzten. Leider frisst sich der Wurm auch heute schon wieder durch die Köpfe der Menschen, denn die gleiche Ideologie, die ganz Europa in Schutt und Asche legte, ist längst in die Gesellschaften und auf die Weltbühne zurückgekehrt.
Im Untertitel soll „Der Wurm“ eine kleine Geschichte darstellen, doch das ist sie mitnichten. Für mich ist dieser Roman nicht nur ein ganz wichtiger angesichts der Weltlage, sondern schon jetzt der Roman des Jahres!
Absolut großartig!
Barbara Imrgund: Der Wurm. Eine kleine Geschichte
Roman
Hardcover, 152 Seiten
Helmer Verlag, 2025