Jahresrückblick 2020 - Teil 1

Was für ein Jahr!

 

Das wird sich wohl ein jeder denken. Und damit man immerhin noch etwas unter den imaginären Weihnachtsbaum mit den virtuell dazu geschalteten Liebsten legen kann, gibt es jetzt schon meinen Jahresrückblick. Die herausragendsten Titel aus ungefähr 753 Büchern, durch deren Welten zu streifen ich dieses Jahr unerwartet viel Zeit hatte.

 

Im ersten Teil stelle ich die 5 lesenswertesten Titel vor, die jüngeren Datums sind, das heißt Titel, die in diesem Jahr oder kurz zuvor erschienen sind, 5 Titel, die mich begeistert haben und die ich uneingeschränkt weiterempfehlen möchte.

 

Also Vorhang auf, Spotlight an, hier folgt die Kür - natürlich wie immer nach ganz objektiven Richtlinien ! Und mit Klick auf das Foto gelangt ihr zur ganzen Rezension.

 

 

 

"ALLE AUßER MIR"

von Francesca Melandri

 

Über drei Generationen entblättert sich hier eine Familiengeschichte, die eng mit der Geschichte Italiens im letzten Jahrhundert verknüpft ist. Immer tiefer fällt das Licht in die hintersten Ecken der verdrängten Vergangenheit, immer deutlicher zeichnen sich die Kontinuitäten der Geschichte ab, die bis in die Gegenwart reichen. Die Erzählung spannt einen weiten Bogen von der Machtergreifung Mussolinis und dem Faschismus über die bestialische Kolonialzeit in Abessinien bis hin zur heutigen Flüchtlingskrise. Ein herausragender, mitreißender Roman, mit dem Blick in die tiefen Abgründe einer Familie und eines ganzen Staates.

Mein absolutes Highlight in diesem Jahr!

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"FÜR IMMER DIE ALPEN"

von Benjamin Quaderer

 

Wahrscheinlich das erstaunlichste Debüt, das ich jemals gelesen habe. Ein Hochstaplerroman, beinahe ein Schelmenroman, der mit allerlei literarischen Tricks aufwartet. So bietet sich dem Leser während der Lektüre ein Sammelsurium an literarischen Einfällen, die die Literatur in ihrer ganzen Fülle neben stringend erzählten Welten zu bieten hat. Der Roman ist witzig, schräg, verrückt, großartig und größenwahnsinnig. Er ist mutig und verspielt und von einer besonderen Leichtigkeit des Erzählens durchzogen. Ein Roman über Liechtenstein und seine Machenschaften. Ein Roman über die Literatur und ihre Möglichkeiten.

Ein Roman über das Erzählen und dessen Sinn. Ein großartiger Roman!

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"DAS FLÜSSIGE LAND"

von Raphaela Edelbauer

 

Ein Debütroman wie eine Axt für das gefrorene Meer in uns. Ausgefeilte Sätze und eine abstruse Szenerie, irgendwo zwischen "Alice im Wunderland" und "Der Prozess". Dazu wirft er Fragen nach Zeit und Raum auf, nach Erinnerung und Verdrängung, nach Geschichte und Gegenwart, nach Schuld und Sühne. Vielschichtig und tiefgründig erzählt, bietet die Geschichte einen großen Interpretationsspielraum, der auf vielerlei Wegen psychologisch begangen werden kann.

Beinahe kafkaesk, immer jedoch wunderbar!

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"SOLENOID"

von Mircea Cartarescu

 

Hier wird nichts weniger versucht, als sich das Universum durch Sprache anzueignen. Essayistische Abhandlungen über das Leben und die Zeit, über die Milliarden Möglichkeiten jeden Augenblicks, über die Literatur und ihre Schattenseiten, über Bücher und ihre Macht, dazu ausführliche Biografien von Wissenschaftlern der Mathematik, Pathologie und Naturkunde, ebenso wie Gedankenexperimente, die einem den Boden unter den Füßen wegreißen und nur auf ein Ziel ausgerichtet sind: die Bestimmung der vierten Dimension. Träumerisch wird das Leben des namenlosen Protagonisten erzählt, immer bedrochlich, beängstigend, erschreckend, immer surreal.

Ein absolut größenwahnsinniges, im wörtlichsten Sinne unfassbares, aber geniales Werk!

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"BRÜDER"

von Jackie Thomae

 

Im Roman wird nicht nur eine Familiengeschichte aufgeworfen, deren Wege verschlungen durch die Jahrzehnte irren, es ist vielmehr die Geschichte der Trennung, Annäherung und Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, die sich in den unterschiedlichen Brüdern widerspiegelt. Es ist ein Roman über die Suche nach dem Sinn in einem Leben, in dem stets etwas fehlt, ein Leben, das nicht komplett erscheint. Mit Scharfsinn, Witz, Humor und Feingefühl wird die Geschichte der ungleichen Brüder erzählt, in der der alltägliche Rassismus mitschwingt, den beide wegen ihrer Hautfarbe erdulden müssen, aber auch die Feinheiten des alltäglichen Lebens, das Geflecht, in dem man sich verirren kann, stechen imposant heraus.

 

 

 

Schaut euch auch den zweiten Teil des Jahresrückblicks an, die Backlisttitel, unter denen ich wahre Perlen gefunden habe!