...liest gerade „Die Ungleichzeitigen“ von Philipp Brotz

„Man hat nur vor den Dingen Angst, die man nicht kennt.“

 

Als Hagen nach dreizehn Jahren zurück in sein Heimatdorf zieht, ist alles anders. Die Leute erkennen ihn nicht mehr, das Schloss am Haus seiner kürzlich verstorbenen Eltern wurde ausgetauscht, die alten vertrauten Möbel seiner Kindheit mussten modernen sterilen weichen und die Katze ist halb tot. Aber das Schlimmste spielt sich auf den Straßen ab. Dort tummeln sich verdächtig aussehende Menschen – Flüchtlinge. Und für deren Unterkunft soll auch noch der Lärchenwald gefällt werden, der verklärte Ort seiner Kindheit.

 

Gegen diese Entscheidung will er vorgehen, will wenigstens ein Stück Heimat erhalten, und begibt sich in einen aussichtlosen Kampf. Als er bei dem Vorhaben sein ganzes Geld verliert, steht er plötzlich vor dem Nichts. Doch dann lernt er Adana kennen, eine junge Frau, die ihm hilft. Eine junge Frau, die ihn fasziniert - eine Geflüchtete.

 

Philipp Brotz hat einen bewegenden Roman über Heimatlosigkeit geschrieben, aber auch über Liebe und Freundschaft. In klarer und unaufgeregter Sprache breitet er die Geschichte eines Einzelgängers aus, der entwurzelt in seine Heimat zurückkehrt, in der Hoffnung, die Zeit zurückzudrehen. Doch auch daran scheitert er und muss sich der Realität stellen, in der er schließlich Adana kennenlernt, eine Jesidin. In Schmerz und Heimatlosigkeit findet das ungleiche Paar zueinander. Die anfängliche Ablehnung schlägt in Offenheit und Empathie um, sodass Hagen auch andere Geflüchtete kennenlernt und die Menschen hinter der Projektionsfläche entdeckt, wo die vermeintlich Anderen zu dem werden, was sie wirklich sind: Menschen mit Namen, mit Gefühlen und Lebensgeschichten.

 

Der Roman verzichtet dabei auf Klischees und arbeitet in sanften und einfühlsamen Tönen Ambivalenzen heraus. Besonders geht die Geschichte Adanas unter die Haut, da sie den Scheinwerfer auf die Jesiden lenkt, deren Schicksal im alltäglichen Strom der schnelllebigen Nachrichten längst wieder der Vergessenheit anheimgefallen ist.

 

„Die Ungleichzeitigen“ ist ein bewegender und angesichts aktueller Flüchtlingsdebatten wichtiger Roman.

 

 

Philipp Brotz: Die Ungleichzeitigen

Roman

Hardcover, 320 Seiten

8grad Verlag, Freiburg 2023