...liest gerade "Das steinerne Floß" von José Saramago

Ein zarter Riss in der Erde, der nicht mehr verheilt.
Ein riesiger Stein, der über die Wasserfläche hüpft.
Stumme Hunde, die bellen, und Stare, die zu Hunderten Menschen verfolgen.

 

Es sind seltsame Dinge, die geschehen. Vorboten eines Ereignisses, das unglaublich erscheint. Denn plötzlich, ohne Vorwarnung, brechen die Pyrenäen auseinander. Zuerst zeichnen sich nur Risse ab, doch schnell weiten sie sich. Die Regierungen Spaniens und Frankreichs versuchen, die tiefen Spalten zu kitten und mit Beton zu füllen, doch vergebens. Die iberische Halbinsel bricht vom Rest Europas ab und driftet fort.

 

Der nunmehr als Insel zu bezeichnende Flecken Erde nimmt Kurs auf die Azoren. Panik bricht aus, Menschen verlassen überstürzt die Insel, Evakuierungen finden statt. EU und NATO sind alarmiert, Reporter aller Länder berichten, die Schlagzeilen überschlagen sich. Mitten in diesem Chaos treffen sich eine Handvoll Menschen, denen Magisches widerfahren zu sein scheint. Zusammen begeben sie sich auf eine Reise durch das Land, um zu verstehen, was vor sich geht - mit ihnen als auch mit ihrer Heimat.

 

Erschienen 1986, im Jahr der EU-Beitritte Spaniens und Portugals, beschwört der Roman ein Gefühl herauf, trotz der neuen Mitgliedschaft in den auserlesenen Kreis nicht wirklich dazuzugehören, im Gegenteil, abgelehnt und nicht wertgeschätzt zu werden. Nachdem die Diktaturen in Spanien und Portugal endeten, prangt immer noch eine große, anscheinend unüberwindbare Kluft zwischen der iberischen Halbinsel und dem Rest Europas. Im Roman ist es dann auch die EU, die schnell die Motivation verliert, den Bewohnern der Insel zu helfen. Allein die USA treten als Heilsbringer auf, denn sie sind es, die den im Stich gelassenen Ländern Hilfe anbieten. Ebendiese war es auch, die die tatsächliche Annäherung Spaniens an den Rest Europas und die EU vorangetrieben hat und so kann man den Roman durchaus als Gleichnis auf reale politische und gesellschaftliche Zusammenhänge lesen.

 

Beinahe mythisch wird hier der Bruch Spaniens und Portugals vom Rest Europas erzählt. Magisch muten die Vorgänge an, die geschehen, dabei ist der Ton jedoch nicht belehrend, sondern ironisch und unterhaltsam. Die Erzählung suggeriert einen mündlichen Vortrag, in dem sich der Erzähler manches Mal unterbricht und feststellt, dass man die Geschichte auch anders erzählen könne. Geprägt sind seine Ausführungen jedoch durch Schachtelsätze und so wird sein Vortrag durch viele kleine Nebensätzen zersetzt, die die Lektüre schnell anstrengend werden lassen und den Genuss der Geschichte deutlich schmälern.

 

"Das steinerne Floß" erschien erstmals in deutscher Übersetzung 1990 im Rowohlt Verlag. Acht Jahre später wurde José Saramago der Literaturnobelpreis verliehen.

 

 

 

José Saramago: Das steinerne Floß

Roman, aus dem Portugiesischen von Andreas Klotsch

Taschenbuch, 400 Seiten

Atlantik Verlag, Hamburg 2015