...liest gerade „Babel“ von Rebecca F. Kuang

Worte können animieren.

Sie können aufstacheln, bewegen und ermutigen.

Sie können die Welt verändern – und töten.

 

Als Robin den Turm in Oxford das erste Mal erblickt, ist er begeistert. Überwältigend ist der Bau, in dessen Innern sich der Mittelpunkt der Welt befindet. Als chinesisches Waisenkind hat er bisher unter strenger Obhut daraufhin gearbeitet, hier am Institut Sprachen zu studieren. Seine drei Kommilitonen und er werden rasch zu seiner eingeschworenen Gruppe, doch schon bald schauen sie hinter die Fassade Babels und entdecken Schreckliches. Je weiter sie sich vorwagen, desto ungeheuerlicher wird die Erkenntnis. Denn Babel hat ein dunkles Geheimnis - und plötzlich geht es um ihr Leben.

 

Mit Anleihen aus dem Reich der Fantasy erzählt der Roman von Kolonialismus und Ausbeutung, aber auch von Widerstand und Mut. Sprachen sind dabei von besonderer Bedeutung, denn neben Übersetzungen gibt es noch das Silberwerken, das Gravieren von etymologisch verwandten Wörtern aus zwei Sprachen in Silbereisen, denen dadurch eine magische Kraft eingeschrieben wird. Silber und Sprachen stehen deswegen im Fokus des britischen Empires, das sich alles Untertan machen will.

 

Die Begeisterungsstürme kann ich dennoch nicht teilen. Schon das Vorwort, in dem die Autorin auf den Fiktionsgehalt des Werkes hinweist, ließ mich irritiert zurück. Müssen sich Autoren in Romanen dafür rechtfertigen, dass Schauplätze und Gegebenheiten womöglich der Phantasie entspringen?

 

Natürlich ist es sehr originell, Sprache und Kolonialismus zu verbinden, als wären Worte eine Ressource wie Gold oder Öl, die abgeschöpft werden könnten. Dennoch war mir vieles zu plakativ und eindimensional. Und natürlich ist es interessant zu sehen, wie verwandte Wörter in verschiedenen Sprachen auf denselben Ursprung zurückzuführen sind. Das allein macht aber noch keinen guten Stil. Im Gegenteil, hier wird alles erklärt und auserzählt, jede Gefühlsregung, jeder Blick, jeder Geste, sodass kein Interpretationsraum bleibt, den man selbst füllen könnte.

 

So bleibt eine durchaus unterhaltsame Urlaubslektüre, die in eine phantastische Welt führt, literarisch für mich aber kein Glanzpunkt war.

 

 

R.F. Kuang: Babel

Roman, aus dem amerikanischen Englisch von Heide Franck und Alexandra Jordan

Hardcover, 738 Seiten

Eichborn Verlag, Köln 2023