...liest gerade "Schande" von J.M. Coetzee

Ein Literaturprofessor, der seine Studentin verführt.
Eine Anklage, die ihn die Stellung kostet.
Und ein Gewaltverbechen, das sein Leben verändern wird.

 

David Lurie lebt in Kapstadt. Tagsüber mimt er den Professor für Kommunikationswissenschaften, eine Arbeit, der er nur halbherzig nachgeht, da ihm nicht nur die faulen Studenten zuwider sind, sondern sein eigentlicher Fokus vielmehr auf der Literatur liegt. Abends und nachts vergnügt er sich mit Prostituierten, stellt ihnen nach, wenn sie nicht mehr an den berüchtigten Orten erscheinen, und belästigt sie. Eines Tages beginnt er eine Affäre mit einer Studentin. Halb gewollt, halb gezwungen gibt sie sich ihm hin. Durch Freund und Eltern kommt es zu einer Anzeige, die schnell Kollegen und Studenten gegen ihn aufbringt. Da er keinerlei Reue zeigt, obwohl er sich in allen Anklagepunkten schuldig bekennt, verliert er schließlich seinen Job.

 

Um Abstand zu gewinnen, fährt er aufs Land zu seiner Tochter. Sie lebt allein, nachdem sie sich von ihrer Freundin getrennt hat, und betreibt eine Farm. Nur Petrus, ein Angestellter des Hofes, lebt in nächster Nähe, ein wortkarger Mann, dem David aufgrund seiner Hautfarbe von Anfang an misstraut. Scheint der Aufenthalt anfangs noch idyllisch, gerät David plötzlich in eine Gewaltspirale, die sein Weltbild erschüttert und das Verhältnis zu seiner Tochter in die Knie zwingt. Verzweifelt steht er vor ihr und versteht sie nicht mehr, denn nach einem brutalen Überfall trifft sie immer mehr Entscheidungen, die er nicht nachvollziehen kann, und ordnet sich schließlich ihren Peinigern unter.

 

Schonungslos beschreibt Coetzee die immer noch anhaltenden und nun neueinsetzenden Missstände in Südafrika nach dem offiziellen Ende der Apartheid, beschreibt die Entwicklung des Landes, das sich nun andere Opfer sucht und doch beim gleichen Schema von Herr und Knecht bleibt, beschreibt den Hass, der sich zwischen den Menschen eingebrannt hat und nach Blut dürstet, und beschreibt letztlich einen Generationenkonflikt rund um das Erbe der Apartheid. Zudem spiegeln sich in den großen Themen, die der Roman beleuchtet - das Verhältnis zwischen Mann und Frau, zwischen Schwarz und Weiß, Vater und Tochter, Täter und Opfer - Ungnade und Schande (Originaltitel: "Disgrace") gegenseitig wider und skizzieren am Ende den Beginn von etwas Neuem, den Anfang einer neuen Epoche.

 

Ein beklemmender Roman vom Nobelpreisträger Coetzee, schwer verdaulich und ärgerlich, doch packend und interessant, geschrieben in einem beinahe lapidaren, lakonischen, auf jeden Fall sehr gradlinigen Stil, ausgezeichnet gar mit dem Booker Preis 1999. Lesenswert, aber beunruhigend und verstörend.

 

 

 

J. M. Coetzee, Schande

Roman, aus dem Englischen von Reinhild Böhnke

Taschenbuch, 288 Seiten

Fischer Taschenbuch, Frankfurt a. M. 2001